Geschlechtermix im Russischunterricht. Queertag. Das ist politisch aber sehr korrekt, sagt Zhana. Natürlich. Als Deutscher im Land, in dem ich gefragt werde, wie ich mit meinem permanenten Schuldgefühl umgehe, wenn ich durch diese Landschaften fahre. Ich habe kein Schuldgefühl. Interessant, sagt Zhanna, was denn dann.
Es ist der Tag, an dem ich ihre Angst sehe. Sie wissen, was Angst ist, sie machen sie auch.
Amtseinführung am Tag nach dem schönen Wetter. Inauguration am Tag nach der Feier. Majdan, riefen viele immer wieder, und, heute schaffen wir es, ja, heute schaffen wir es. Naiver Glaube an das schier Unmögliche. 100.000 Menschen sind nicht viel angesichts der Millionen Tote in den letzten 100 Jahren. Wir haben keine Angst mehr, endlich. Am Tag vor dem Amtseid der Angst.
Amtseinführung. Gespenster. Stille. Männer, alle 30 Meter einer. Oft zwei. Große Straßen. Ausgestorben. Roter Flor drapiert noch vom Tag der Arbeit. Was, noch keine Stalinportraits, fragt Zhanna. 4 Kilometer vom Kreml. Straßenfeger dürfen heute nicht den Rinnstein putzen.
Sie wissen, wie man Angst macht, sagt Zhana, deshalb sind sie so vorsichtig. Angst erzeugt Gegenangst.
Im Kreml Kanonenschüsse. 32. Unhörbar. Laute Stadt, selbst, wenn alles leer. Gestern noch die Nachtigall im Alexandrowski Sad, heute erschossen, 32fach, stumm nun in der neuen Zeit.
Der Nachtigall ist Freiheit egal, sagt Zhana, solange sie wegfliegen kann. Wir bleiben hier und kämpfen, jetzt ist die einzige Chance.
Jemand hat буст an die Wand in der Metro geklebt. Nichts passiert, wie immer. Nur warum?
Dann blitzt etwas auf, in der Stadt, die die Seele frisst.
Ich hab dir doch gesagt, das kommt irgendwann, sagt Zhana. Sie hat jetzt recht, da ist sie ganz sicher. Am nächsten Morgen hat die Vollmondnacht ihren Tribut gefordert. Der Lärm hat uns schlaflos gemacht, nicht die Liebe. Unsere Körper unterm Laken schwitzen einander an, fliehen einander. Sinnlos. Laute Stadt, gerade noch Frost. Matsch. Jetzt Staub. Gewitter. 12 Jahre.